Bürgermeister gratulierte der Jahrhundertfrau
Als sie geboren wurde, kostete ein Kilo Brot 12.000 Mark, und da war der Höhepunkt der Wirtschaftskrise noch nicht erreicht. Es war das Jahr der Hyperinflation, der Wert des Papiergelds sank ebenso schnell wie die Zahl der Nullen auf den Geldscheinen stieg. Ein Jahrhundert ist das her. Margarete Rother kann sich aber noch gut erinnern an ihre Kindheit in Neubistritz, wie die Deutschmähren ihren Heimatort nannten.
Nova Bystrice nannten ihn die Tschechen – nach dem Ersten Weltkrieg war die kleine Stadt Teil der Tschechoslowakei geworden und lag nun an der Grenze zu Österreich. Viel hat Margarete Rother erlebt, auch die Vertreibung aus der Heimat, sie ist herumgekommen in Deutschland und in der Welt. In der vergangenen Woche feierte sie im Haus Morija ihren 100. Geburtstag. „Jetzt lerne ich endlich einmal den Bürgermeister kennen“, freute sie sich, als Rödermarks Verwaltungschef Jörg Rotter mit einem großen Strauß Blumen und Urkunden von der Stadt, vom Landrat und vom Ministerpräsidenten vorbeikam. Rotter war es eine Ehre, einer der ältesten Bürgerinnen der Stadt gratulieren zu dürfen.
Rödermärkerin ist die noch erstaunlich rüstige Jahrhundertfrau erst seit Anfang 2022. Bis dahin hatte sie noch im eigenen Haushalt in Heusenstamm gelebt, hatte auch nach dem Tod ihres Mannes, der 2016 im Alter von 93 Jahren gestorben war, noch vieles selbst erledigen können. Nach einem gesundheitlichen Vorfall musste ihr Sohn Michael dann aber einen Platz in einem Seniorenheim suchen. Der wohnt in Urberach und ist heilfroh, dass seine Mutter im Haus Morija aufgenommen werden konnte.
Jeden Tag schaut er vorbei und weiß, dass sie sich hier „richtig wohlfühlt“ – obwohl sie früher immer Bedenken gehabt habe, einmal in einem Heim zu „landen“. Wenn Michael Rother seine Mutter besucht, dann wird gespielt: Kniffel – gut fürs Gehirn, Tiroler Roulette – gut für die Finger, Kreativspiele oder das selbst gebastelte Angelspiel. Oder es geht ins Eiscafé im Breidert-Zentrum. Dahin schiebt Michael Rother seine Mutter im Rollstuhl, „aber im Haus geht alles noch mit dem Rollator“, versicherte er stolz.
Was ist nun das Geheimnis für ein so langes Leben? Sie habe immer viel gearbeitet, sei immer in Bewegung gewesen, habe sich geistig fit gehalten, sagte Margarete Rother- Sie sei geduldig und resilient und habe sich immer zu beschäftigen gewusst ergänzte ihr Sohn. Und sie habe viel von der Welt gesehen. Die junge Familie sei alle zwei Jahre umgezogen, weil sein Vater als früher EDV-Fachmann immer neue Anstellungen bekam. 1965 kam er zum Frankfurter Flughafen und blieb, die Familie zog nach Offenbach nach. Dort blieb das Ehepaar Rother bis 1998, dann ging es nach Heusenstamm.
Als Rentner verbrachten die beiden die Winter immer auf Mallorca und bereisten im Sommer Europa mit dem Wohnmobil, sein Vater noch mit 85 am Steuer, so Michael Rother, und seine Mutter als aufmerksame und die Straßenkarte studierende Beifahrerin. Ein besonderes Geschenk hatte der Sohn seiner Mutter zum Ehrentag gemacht: Per Google Maps erkundeten die beiden die alte Heimat von Margarete Rother – „das ging wunderbar, vieles hat sie noch erkannt“.